Antisemitismusprävention – Ein Gewinn für alle
Wahrscheinlich wissen nur die Eifrigsten unter den Bezirkspolitikinteressierten, dass ich das Licht der Welt in Tunis erblickte und seither meinem Geburtsland verbunden bin. Im November 2018 wurde René Trabelsi zum neuen Tourismusminister ernannt. Warum das relevant ist? Trabelsi ist der erste jüdisch-tunesische Minister seit den 1950er Jahren und bisher auch der einzige jüdische Minister in einem arabischen Land geblieben. Da die jüdische und arabische Welt im vergangenen Jahrhundert mehr trennte als verband, war diese Nachricht sehr erfreulich. Ein kleines Stück fast 2000-jähriger jüdischer Identität des Maghreb wurde wieder sichtbar.
2000 Kilometer weiter nördlich, in Rudolfsheim-Fünfhaus, sollte dieses Ereignis für mich zur Inspiration für handfeste Bezirkspolitik werden. Nach Jahrzehnten des Zwists sollte es jetzt auch hier möglich sein, eine Annäherung von jüdischen und arabischen Perspektiven zu erreichen. Doch auch hier hat sich einiges geändert: Antisemitische Narrative haben sich breitenwirksam in Social Media und sogar in die Impfpflichtthematik geschlichen. Es gibt einen stärker wahrnehmbaren Antisemitismus aus unterschiedlichsten Teilen der Gesellschaft, auch verstärkt durch die zunehmenden Verschwörungstheorien.
Die Grünen Rudolfsheim-Fünfhaus haben sich für Geldmittel eingesetzt, diesem wachsenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen. Das Engagement gegen Antisemitismus in einem einkommensschwachen und migrantischen Bezirk ist schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Menschen gerade hier andere Sorgen haben, als sich mit gesellschaftspolitischen Themen zu befassen. Es gibt auch häufig Berührungsängste dieses Thema anzusprechen, da die berechtigte Sorge besteht, dass die eigene Äußerung als rassistischer Generalverdacht gegen Migrant:innen, gemeint sind in der Regel Muslime, missverstanden wird. Wir wollen hier aber mit dem größten Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus vorangehen, nicht obwohl, sondern gerade weil Rudolfsheim-Fünfhaus der diverseste und gleichzeitig ärmste Bezirk Wiens ist.
Die Menschen in Rudolfsheim-Fünfhaus sind für ihre Vielfältigkeit bekannt und ihr eigenes Leben ist oft von diskriminierenden Erfahrungen geprägt. Diversität und Diskriminierung kennen aber eine Vielzahl an Perspektiven. Die allgemeine Diversitätsdebatte muss deshalb auch Raum für die ganze Breite jüdischer Identitäten in der österreichischen Gesellschaft bieten.
Die Bezirksvertretung bietet auf Initiative der Grünen ein breites Angebot an Workshops zur Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen für das Thema Antisemitismus an. Dass das kein leichtes Unterfangen ist, kann man sich vorstellen. Mit dem didaktischen Konzept und den Trainer:innen des Dokumentationsarchivs des öst. Widerstands (DÖW) und dem Jugendverein Zeit!Raum können Schulklassen und Jugendliche in ihrer Freizeit mit dem Thema in Kontakt gebracht werden.
Durch die Reflexion antisemitischer Sichtweisen und die Gegenüberstellung der eigenen Diskriminierungserfahrung sollen Jugendliche in Rudolfsheim-Fünfhaus antisemitische Vorurteile besser erkennen und diesen besser entgegentreten können. Jugendliche mit unterschiedlichen ethnischen und politischen Hintergründen können so nicht nur ein umfassenderes Bild auf Diskriminierungserfahrungen, die eigenen wie auch die Anderer, entwickeln, sie können auch besser an der österreichischen Gesellschaft teilhaben, wenn sie die Lehren, die aus der österreichischen Geschichte zu ziehen sind, besser verstehen.
Am Ende erlaube ich mir den Kreis zur Einleitung wieder zu schließen. Trotz aller beschriebenen Hemmnisse, die den Kampf gegen Antisemitismus und Diskriminierung erschweren, können wir am Ende als Gesellschaft, ebenso wie die Jugendlichen selbst, nur gewinnen. Denn ebenso wie in Tunesien, gibt es auch in Wien kulturell viel zu entdecken.